Elektionsstörungen

14. 10. 2019

Textsplitter. Der Wahlkampf neigt sich dem Ende entgegen. Hierzu haben wir eine Glosse von 2011 ausgegraben. Obwohl acht Jahre alt, ist sie immer noch brandaktuell – behandelt sie doch ein nach wie vor grassierendes Krankheitsbild:

Post Electionales Syndrom

Ab nächster Woche sehen wir uns mit einer komplett neuen Lebenssituation konfrontiert. Eine Leere wird sich in uns auftun. Dann etwa, wenn wir unterwegs sind. Verzweifelt werden wir nach den treuen Begleitern entlang der Strasse Ausschau halten, die uns in den vergangenen Monaten so freundlich zulächelten. Ferner können wir uns nicht mehr über Vandalismus an Wahlplakaten ärgern – oder freuen. Im Fernsehen müssen wir ohne Wortgefechte von Menschen auskommen, die für jedes Problem eine Lösung bereit haben. Und morgens auf dem Bahnhof wollen plötzlich deutlich weniger Personen mit uns reden; geschweige denn, uns einen Apfel oder eine Broschüre in die Hand drücken. Kurznachrichten, die uns erklären, wie wir den Wahlzettel richtig ausfüllen, lassen ebenfalls schlagartig nach. 

Gravierende Entzugserscheinungen

Machen wir uns auf üble Zeiten gefasst. Die Entzugserscheinungen können gravierend sein. Sie reichen von nervösen Zuckungen über Schlafstörungen bis hin zu militantem Nihilismus. Post Electionales Syndrom, kurz PES, nennen Experten das Krankheitsbild. Der Ursache liegt auf der Hand: über Monate werden Bürgerinnen und Bürger mit Wahlpropaganda überhäuft. Auch die Medien widmen sich kaum noch anderen Themen und beglücken uns mit immer skurrileren Rankings zu den Kandidierenden. Und dann – mit einem Schlag – ist alles vorbei. Die Zielgruppe dieser politischen Materialschlacht fällt in ein tiefes Loch.

Scheinwahlkämpfe

Die volkswirtschaftlichen Schäden wegen Arbeitsausfällen durch PES drohen in die Milliarden zu gehen. Bislang sind sich Experten uneinig darüber, wie das Syndrom bekämpft werden kann. Im Auftrag der Schulmedizin arbeitet die Pharmaindustrie mit Hochdruck an einem PES-Antidepressivum; am Rheinknie werden höhere Gewinne erwartet als seinerzeit bei Tamiflu. Naturheilkundler wiederum schwören auf die Wirkung einer chinesischen Wurzel, welche die Elektionsstörungen bekämpfen soll. Psychologen hingegen plädieren für die Einführung von Scheinwahlkämpfen mit professionellen Schauspielern. Sie sollen die Wartezeit bis zum nächsten Showdown überbrücken. 

Fürwahr, eine komplexe Problematik. Doch spätestens im nächsten Wahlkampf werden uns Politikerinnen und Politiker auch dafür eine Lösung präsentieren.