​Postfaktische Wahrheitssuche

11. 08. 2020

Textsplitter. «Wie stehen Sie zur Wahrheit?», wollte die potentielle Kundin wissen. Sie meldete sich im Rahmen ihrer Suche nach einem Moderator für ein Podium. Dessen Inhalt: Die Debatte um die Massnahmen des Bundes zur Eindämmung von COVID 19. Auf ein Nachhaken, wie bitte diese Frage zu verstehen sei, konkretisierte die Dame: «Stehen Sie zur Wahrheit oder zu dem, was SRF, Tagi und andere berichten?»

Eine weitere Diskussion erübrigte sich, das Auftragsverhältnis kam nicht zu Stande – aus hoffentlich nachvollziehbaren Gründen. Etwas ratlos liess uns das Telefongespräch gleichwohl zurück.

Was ist Wahrheit?

Willkommen im postfaktischen Zeitalter! Wenn der Inhalt einer Aussage nicht passt, wird er als unwahr abgestempelt, als Fakenews. Das verunmöglicht jegliche Diskussion. Basierte die Wahrheitssuche bislang auf Diskurs und einem Abwägen der Fakten, wird heute die andere Meinung von Anfang an als falsch abgetan. Austausch ausgeschlossen.

Das ist gerade in Zeiten einer Krise fatal. Statt gemeinsam einen Ausweg zu suchen, wird die Ansicht der anderen Seite verunglimpft. So wie derzeit in der Corona-Pandemie. Dabei prallen Welten aufeinander. Hier jene der bisweilen despektierlich «Covidioten» genannten. Sie sehen ihre Menschenrechte beschränkt und orten hinter allem eine riesige Verschwörung. Dort die Ansicht der öffentlichen Hand. Diese versucht, die Ausweitung des Virus einzudämmen.

Ultimativ und ohne Kompromiss

Wir wollen hier keine philosophische Diskussion vom Zaun brechen und auch nicht unnötig Moralin und Pathos versprühen. Dennoch: Etwas mehr Diskurs würde nicht schaden. So funktioniert im Übrigen auch Wissenschaft: Der These wird eine Antithese gegenübergestellt. Nicht immer ist der Mittelweg der richtige, oft aber führt Reibung zu einem stimmigen Resultat. Das ist gerade in einer Zeit wichtig, in der viele Erkenntnisse schlicht noch fehlen. Bisweilen täte es in diesem Kontext auch not, ehrlich zu sein und zu sagen: «Ich weiss es nicht.»

Doch der Wille dazu fehlt genauso wie die Bereitschaft zum Konsens. Erschwerend kommt hinzu, dass vielen Medienschaffenden selbst rudimentäres Wissen über wissenschaftliche Prozesse zu fehlen scheint. Sie gewähren jeder noch so unbedeutenden Studie eine grosse Bühne und stellen deren Ergebnis als sakrosankt dar. Je nachdem, ob das Publizierte ins Weltbild passt, nehmen Rezipienten es dankbar auf – oder verwerfen es als Falschmeldung. Ultimativ und ohne Kompromiss.

Der Wahrheitsfindung dient beides nicht.

Photo: Tom Radetzki on Unsplash