Post Elektionales Syndrom

Willisauer Bote (WB)
«Carte Blanche», 21. Oktober 2011

Ab nächster Woche werden Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, mit einer komplett neuen Lebenssituation konfrontiert sehen. Eine Leere wird sich in Ihnen auftun. Dann etwa, wenn Sie unterwegs sind. «Wo sind alle meine Freunde hin?», werden Sie verzweifelt rufen und vergeblich nach den treuen Begleitern entlang der Strasse Ausschau halten, die sie in den letzten Monaten freundlich anlächelten. Zudem können Sie sich nicht mehr über Vandalismus an Wahlplakaten ärgern – oder freuen. Sie werden Zoten wie jene um einen entführten Ziegenbock vermissen. Im Fernsehen müssen Sie ohne Wortgefechte von hypernervösen Menschen auskommen, die für jedes Problem eine Lösung parat haben. Und beim Einkaufen wollten plötzlich deutlich weniger Personen mit Ihnen reden; geschweige denn, Ihnen einen Apfel oder eine Broschüre mit hübschen Bildern in die Hand drücken.

Machen Sie sich auf eine schwere Zeit gefasst. Die Entzugserscheinungen können gravierend sein. Sie reichen von nervösen Zuckungen über Schlafstörungen bis hin zu militantem Nihilismus. Post Electionales Syndrom, kurz PES, nennen Experten das Krankheitsbild. Dieses nimmt in der westlichen Welt mit ihren exzessiven Wahlkämpfen bedenklich rasch zu. Der Grund liegt auf der Hand: über Monate werden Bürgerinnen und Bürger mit Wahlpropaganda überschüttet, auch die Medien widmen sich kaum noch anderen Themen. Und dann, mit einem Schlag, ist alles vorbei. Die Zielgruppe der politischen Materialschlacht fällt in ein tiefes Loch.

Die volkswirtschaftlichen Schäden wegen Arbeitsausfällen durch PES drohen in die Milliarden zu gehen. Gleichwohl sind sich Experten uneinig darüber, wie das Syndrom bekämpft werden soll. Im Auftrag der Schulmedizin arbeitet die Pharmaindustrie mit Hochdruck an einem PES-Antidepressivum; am Rheinknie werden höhere Gewinne als seinerzeit bei Tamiflu erwartet. Naturheilkundler hingegen schwören auf die Wirkung einer chinesischen Wurzel, welche die Elektionsstörungen bekämpfen soll. Psychologen wiederum plädieren für die Einführung von Scheinwahlkämpfen mit professionellen Schauspielern. Diese sollen die Wartezeit bis zum realen Show-Down überbrücken. Fürwahr, eine komplexe Problematik. Doch spätestens im nächsten Wahlkampf werden uns Politikerinnen und Politiker auch dafür eine Lösung präsentieren.


© David Koller, 2011

zurück